P. Lindenbauer: Der Fremde als «der Andere»

Titel
Der Fremde als «der Andere». Eine Studie der diskursiven Konstruktion des Mauren und des Türken im Echo romanischer Volksliteraturen


Autor(en)
Lindenbauer, Petrea
Reihe
Europäische Hochschulschriften 24
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Mario Kreuter, Redaktion "Südost-Forschungen", Südost-Institut

Die romanischsprachigen Territorien an der Peripherie Europas sahen sich, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, dem Vormarsch und sogar dem Eindringen von Völkern ausgesetzt, deren islamischer Glaube einen der Antriebe für ihre Expansion darstellte. Nun gehören die iberoromanischen Völker bzw. die Balkanromanen verschiedenen Zweigen der romanischen Sprachfamilie an, und auch der unterschiedliche kulturelle Hintergrund (nur als Stichwort: Katholizismus–Orthodoxie) war einer vergleichenden Betrachtung der romanischen Randvölker und ihrer Geschichte eher hinderlich. Petrea Lindenbauer von der Rudolfs-Universität Wien hat sich an eine Untersuchung des Bildes vom Mauren bzw. des Türken in den Volksliteraturen Spaniens und Rumäniens gewagt. Herausgekommen ist eine Studie, die den Wert solch kontinentübergreifender Untersuchungen bewusst macht.

Obwohl die Arbeit primär philologisch ist, kann auch der Historiker seinen Vorteil aus ihr ziehen. Dies liegt u.a. an den umfangreichen Textkorpora, mit denen die Autorin arbeitet. Im Falle des Spanischen stützt sie sich dabei auf eine Anthologie, deren Ursprünge bis ins Jahr 1600 zurückgehen und daher schon durch die damals erfolgte Auswahl der Texte von Interesse ist. Für das Rumänische wählte Lindenbauer 25 teils sehr lange Balladen aus, die aus mehreren Quellen stammen. Diese Balladen werden sowohl einzeln nach einem einheitlichen Schema beschrieben, welches Namen, Genealogie, geographische Herkunft, Aussehen und Alter, Kleidung und Ausstattung, körperliche und geistige Eigenschaften, Religion und Leidenschaften u.v.m. genau festhält, als auch in ihrer jeweiligen Gesamtheit untersucht. Diese dabei gewonnene «Mauren-» bzw. «Türkenporträs» werden abschliessend ebenfalls gegenübergestellt, wobei die Autorin sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede deutlich herausarbeitet.

Zu den Gemeinsamkeiten dieser Balladen gehört beispielsweise die Verwendung von Arabismen bzw. Turzismen, die nicht zu den Lehnworten zählen und der Figur des Fremden dadaurch eine besondere Note verleihen. Dies bezieht sich nicht allein auf die Namen der Figuren, sondern auch auf ihre Titel, ihre Kleidung oder ihre Gewohnheiten. Die Einheimischen werden parallel dazu mit romanischen Wortmaterial benamst und beschrieben.

Aber auch die Abweichungen sind interessant. So unterscheidet sich die Handlung spanischer Romanzen grundsätzlich von der rumänischer Balladen. Der Maure ist meist das Zentrum der Handlung, derjenige, um den es geht. Er ist fast immer allein. Die Geschichten drehen sich um Turniere, um Kriegshandlungen, um den Weg in die Verbannung oder die Suche nach der Geliebten. Christliche oder ethnisch-religiös undeutlich charakterisierte Figuren sind Nebendarsteller. Im Unterschied hierzu steht bei den rumänischen Balladen meistens ein rumänisch-christlicher Held im Mittelpunkt, der entweder von den Türken gesucht wird oder selbst auf der Suche nach seinen Gegnern ist. Die Türken treten dabei in der Gruppe auf, oft in unglaublichen Massen, und werden in jeder Hinsicht überdimensioniert, auch, was Kampfkraft oder Laster angeht. Sie sind dadurch aber auch weniger individualisiert als der Maure der spanischen Romanzen. Die Genealogie, die für die Charakterisierung des maurischen Helden sehr wichtig ist, fehlt beim Türkenporträt zur Gänze. Auch ist der Türke grundsätzlich böse. Dafür wird auf den Osmanischen Staat als solchen und die türkisch-osmanische Kultur in den rumänischen Balladen stärker eingegangen, als dies in der spanischen Romanze für den Mauren geschieht. Insgesamt wirken die rumänischen Balladen märchenhafter. Es wären noch viele Details zu nennen, aber aus Platzgründen sollen diese Beispiele ausreichen.

Die theoretische Bearbeitung der Untersuchungsergebnisse ist etwas knapp ausgefallen und stark philologisch konzipiert. Aber die unterschiedlichen Konzepte zur Darstellung des Anderen samt der jeweiligen kulturellen Hintergründe kommen trotzdem gut zur Geltung.

Ärgerlich ist in den einleitenden Kapiteln stellenweise die Wortwahl. So wird zwar korrekt vom Osmanischen Reich gesprochen, aber wenn Schlachten geschildert werden, kämpfen Türken gegen Serben oder Ungarn, so, als wäre das Osmanische Reich ein reiner Turkstaat gewesen. Und der Satz «Für die Christen der rumänischen Länder bedeutete die osmanische Souveränität kein Hindernis für ihre Religionsausübung» (S. 31) ist doch etwas merkwürdig, denn die rumänischen Fürstentümer waren nie ein Teil des Osmanischen Reichs.

Doch diese Kritik eines Historikers an eine Philologin mag auch nur Beckmesserei sein. Festzuhalten bleibt, dass Petrea Lindenbauers Studie eine Lücke in der Betrachtung der islamischen Expansion füllt und ausserdem den Blick auf die Gemeinsamkeiten der Randromania schärft. Zugleich ist sie eine gute Einführung in die einzelne Gattungen der Volksliteratur und als imagologische Arbeit eine Fundgrube an interessantem Material.

Zitierweise:
Peter Mario Kreuter: Rezension zu: Petrea Lindenbauer: Der Fremde als «der Andere». Eine Studie der diskursiven Konstruktion des Mauren und des Türken im Echo romanischer Volksliteraturen. Frankfurt am Main u.a., Lang, 2001 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 24, Iberoromanische Sprachen und Literaturen; 67). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 3, 2004, S. 343-344.